Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) by Wladimir Kaminer

Diesseits von Eden: Neues aus dem Garten (German Edition) by Wladimir Kaminer

Autor:Wladimir Kaminer [Kaminer, Wladimir]
Die sprache: deu
Format: azw3, mobi
Herausgeber: E-Books der Verlagsgruppe Random House GmbH
veröffentlicht: 2013-08-11T22:00:00+00:00


Weinerkenntnisse

Die beiden Frauen mit den typischen ostdeutschen Namen Jacqueline und Jeanette, die uns das Glücklitzer Haus verkauft, den Weinberg aber für sich behalten hatten, kamen ab und zu vorbei, um ihre nördlichsten Reben der Welt zu pflegen. Jedes Mal, wenn wir uns zufällig trafen, schwärmten sie von ihrem Rotwein, den keiner im Dorf jemals gesehen, geschweige denn gekostet hatte. Auch ich habe nur ein Foto von diesem Wein im Internet gefunden. Ein ganz besonderer solle es sein, stand dort, eine Rarität, die in der Welt der Weinkenner einen hohen Stellenwert genieße. Die Winzerinnen selbst beschrieben ihn als herb, kräftig und dunkelrot, als Blut der brandenburgischen Erde quasi. Uns versprachen sie, bei der erstbesten Gelegenheit eine Flasche vorbeizubringen. Doch ihr Versprechen wurde nie Realität.

Auch im Dorf lachten die Glücklitzer nur, wenn ich sie zum nördlichsten Wein der Welt befragte. Die Männer von der freiwilligen Feuerwehr zuckten die Schultern und schüttelten die Köpfe. Anfangs, als die beiden Frauen mit dem Weinbau angefangen hatten, hatten die Einheimischen gedacht, der Weinberg würde mehr Licht in ihr Dorf bringen. Sie hatten von dörflichen Weinfesten und öffentlicher Verkostung im Haus des verloren gegangenen Gastes geträumt. Die Winzerinnen zogen sich dann aber aus dem Dorfleben weitgehend zurück. Entweder tranken sie alle Vorräte selbst, oder die Ernte war so mager, dass sie damit nicht angeben konnten.

»Sie hätten dir diesen Weinberg bestimmt auch gerne verkauft, sie dürfen bloß nicht, weil sie Geld dafür vom Staat bekommen haben und zehn Jahre lang den Weinberg selbst bestellen müssen«, meinte Hartmut.

Ein freiwilliger Feuerwehrmann meinte, diesen nördlichsten Wein der Erde gäbe es gar nicht. Die Frauen brächten ihre Trauben nach Sachsen, wo sie irgendeinem der unzähligen Dornfelder als würzige Zutat beigemischt würden.

Doch die Trauben existierten. Sie kamen im Sommer als grüne Pünktchen aus den Reben und entfalteten im Herbst ihre Farbe und Form. Ab und zu kletterte ich über den provisorischen Zaun, der unser Grundstück vom Weinberg trennt, und klaute eine Handvoll Weintrauben, um den Geschmack des Endproduktes zu erahnen. Die Beeren schmeckten bitter und sauer, als wären sie chronisch unreif. Wie soll dieser Wein wohl schmecken, überlegte ich. Nordbrandenburg zeichnete sich durch ein feuchtes Klima und wenig Sonne aus. Unter solchen Bedingungen einen anständigen Rotwein zu produzieren schien mir unmöglich. Andererseits mochte ich diesen Weinberg, auch der Versuch der beiden Frauen, Unmögliches zu schaffen, imponierte mir.

Ich spielte mit dem Gedanken, vielleicht später eine Winzerkarriere anzufangen, wenn die Frauen irgendwann einmal keine Lust mehr hätten und mir den Weinberg überließen. In meiner Phantasie brachte ich bereits einen selbst gezüchteten nördlichsten Wein der Erde heraus, einen »Gewürzkaminer«: ein bitter-süßer Wein aus dem Herzen Brandenburgs, der den Menschen im Winter die Gemüter erwärmt, einen Wein zum Tanzen im Schnee. Ich würde ihn am liebsten nach alter georgischer Tradition keltern, in eine große Amphore gießen und diese Amphore bei mir im Garten eingraben. Der Wein sollte in den Säften der Erde gären und all die Geschichten des Landes aus dem Boden saugen, alles, was dieser Gegend in den letzten tausend Jahren widerfahren ist, die süße Freude und das bittere Leid.



Download



Haftungsausschluss:
Diese Site speichert keine Dateien auf ihrem Server. Wir indizieren und verlinken nur                                                  Inhalte von anderen Websites zur Verfügung gestellt. Wenden Sie sich an die Inhaltsanbieter, um etwaige urheberrechtlich geschützte Inhalte zu entfernen, und senden Sie uns eine E-Mail. Wir werden die entsprechenden Links oder Inhalte umgehend entfernen.